Studiengebühren in Baden-Würrtemberg – ein Rant

Das Studium ist ein attraktiver Bildungsweg, der Persönlichkeitsentwicklung und beruflichen Erfolg verspricht. Wir GRÜNE wollen daher allen, die ein Studium aufnehmen möchten und dazu befähigt sind, die Möglichkeit dazu geben. Der Zugang zum Studium darf nicht vom Geldbeutel oder von der sozialen Herkunft der Eltern abhängen. Deswegen haben wir die allgemeinen Studiengebühren abgeschafft und neue Studieneinstiege und neue Formen der Studienberatung geschaffen. Darüber hinaus haben wir den Einstieg ins Studium für beruflich Qualifizierte erleichtert. Diesen Kurs der Öffnung der Hochschulen werden wir GRÜNE in der nächsten Legislaturperiode fortsetzen.

Mit diesen erfreulichen Worten beginnt der Abschnitt „Mit uns bleibt Studieren in Baden-Württemberg ein Erfolgsmodell“ im Programm der Grünen in Baden-Württemberg zur letzten Landtagswahl im Jahr 2016. Zurecht ist man hier stolz darauf, dass man die Studiengebühren abgeschafft und somit mehr Menschen den Zugang zu Bildung ermöglicht hat. Zurecht kündigt man damals an, diesen Kurs fortsetzen zu wollen. Über die Ungerechtigkeit von Gebühren für Bildung und wie diese für mehr Ungleichheit sorgen brauche ich wohl kaum noch zu schreiben. In den letzten Jahren hat sich glücklicherweise schon fast so etwas wie ein politischer Konsens gebildet, dass Studiengebühren schädlich sind und gemeinsam mit wenig glücklichen Experimenten wie G8 auf den Müllhaufen der bildungspolitischen Geschichte gehören. Eigentlich war alles klar.
Eigentlich. Denn heute, gut ein Jahr nach der Baden-Württemberger Landtagswahl, sieht alles anders aus: Plötzlich stehen wir in Baden-Württemberg vor der Einführung von Studiengebühren für einen nicht unerheblichen Teil der Studierenden im Land. Und der Grund dafür ist nicht etwa, dass die Grünen die Wahl verloren hätten und ihre Ziele somit nicht durchsetzen konnten. Wie wir alle wissen, ist dies nicht der Fall; die Grünen konnten sogar nochmal eine ordentliche Schippe zulegen und stellen weiterhin den Ministerpräsidenten und die Wissenschaftsministerin und bilden inzwischen sogar die größte Fraktion im Landtag. Eigentlich perfekte Voraussetzungen, um die eigenen progressiven Vorstellungen an den Unis durchzusetzen.
Doch heute, am 03. Mai, hat der baden-württembergische Landtag mit den Stimmen von Grünen und CDU und auf Vorschlag des Wissenschaftsministeriums unter der Leitung der grünen Ministerin Theresia Bauer, Studiengebühren für tausende Studierende beschlossen. Ab dem kommenden Wintersemester 2017/18 werden für Studentinnen und Studenten, die aus dem Nicht-EU-Ausland nach Baden-Württemberg kommen, saftige 1500 € pro Semester fällig. Für alle, die ein Zweitstudium beginnen, werden immerhin 650 € pro Semester fällig. Das ist mehr, als die glücklicherweise abgeschafften allgemeinen Studiengebühren ‚damals‘ betrugen!
Abgesehen davon, dass ich Studiengebühren generell kategorisch ablehne, muss ich die Grünen für die heutige Entscheidung insbesondere aus zwei Gründen kritisieren:
  1. Wer sein eigenes Wahlprogramm so offen verrät, darf sich nicht mehr über Politikverdrossenheit wundern. Die heute gefällte Entscheidung passt absolut nicht zu allem, was die Grünen vor der Wahl angekündigt hatten, sie steht diesen Zeilen sogar diametral gegenüber!
  2. Die Tatsache, dass die sehr vernünftige Argumentation, mit der die Grünen vor einigen Jahren die allgemeinen Studiengebühren abgeschafft hatten und die sie auch in obigem Zitat anführen, nicht mehr gelten soll, wenn es um „Ausländer“ geht, zeugt von sehr geringer Wertschätzung für diese Menschen. Das Motto scheint zu sein: Bei denen ist ja egal, was wir machen, das interessiert eh keinen. Und leider scheint die Partei damit Erfolg zu haben, denn der Aufschrei außerhalb (und leider auch großteils innerhalb) der studentischen Szene ist völlig ausgeblieben. Es geht ja auch nicht um uns Deutsche…

Der heutige Beschluss, der an sich schon wütend macht und völlig falsch ist, wird umso schlimmer, als dass er von einer Partei kommt, die ein progressives, weltoffenes und soziales Selbstverständnis hat. Die Grünen sägen mit dieser Entscheidung mächtig am Ast ihrer eigenen Glaubwürdigkeit und zerschlagen so viel Porzellan.

Mich persönlich macht der Beschluss aus zwei Gedanken betroffen: Zum einen habe ich bis vor einiger Zeit darüber nachgedacht, auch meinen Master in Oslo zu absolvieren – kostenlos. Das heute beschlossene Gesetz würde so etwas andersherum unmöglich machen: Norwegen ist außerhalb der EU, daher müsste ein Norweger, der beispielsweise in Tübingen seinen Master beginnen möchte, ab dem nächsten Semester zahlen. Ich empfinde es als nicht fair, dass er a) gegenüber seinen Kommilitonen mit deutschem Pass so eklatant benachteiligt wird und b) ein Baden-Württemberger zwar in den Genuss eines kostenlosen Studiums in Norwegen kommt, ein Norweger bei uns aber zahlen muss. Man sollte sich dabei der Tatsache bewusst sein, dass wir hier bei einem Bachelor-Studium (Regelstudienzeit meistens 6 Semester) von Beträgen von 9000€ reden!

Zum anderen kenne ich auch in meinem Umfeld mindestens einen Fall einer Person, die ein Zweitstudium beginnt: Nach dem geisteswissenschaftlichen Bachelor hat sich hier einfach gezeigt, dass die aktuelle Jobsituation zu angespannt ist, als dass die Person sich mit dem neu erworbenen Abschluss auf dem Arbeitsmarkt Chancen ausrechnen könnte. Daher denkt sie jetzt über ein Zweitstudium, in diesem Fall Jura, nach. Die Baden-Württemberger Unis haben sich mit dem heutigen Abschluss dafür als Studienort allerdings disqualifiziert: Bei 9 Semestern Studienzeit wären immerhin 5850€ an Studiengebühren fällig, die in vielen anderen Bundesländern nicht anfallen! Das kann sich nicht jeder leisten…

Diese persönlichen Erfahrungen machen anschaulich klar, was der heutige Beschluss im Einzelfall bedeuten kann. Ich selbst stehe, das ist kein Geheimnis, den Grünen eigentlich sehr nahe; unter anderem war ich als Jugendlicher Mitglied der GJ (die glücklicherweise auch im Ländle scharfe Kritik an den neuen Gebühren übt!). Dennoch oder gerade deswegen hat mich der heutige Beschluss hart getroffen. Er ist falsch, und er macht Studieren nicht zu einem Erfolgsmodell, wie die Grünen es letztes Jahr versprochen hatten.

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